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DeepActor-Modelle in DANUBIA

1. Einleitung

Eine Besonderheit von DANUBIA ist die Abbildung der Entscheidungsprozesse sozioökonomischer Akteure durch sogenannte Akteurmodelle. Ein Akteurmodell (oder auch Agenten-Modell) beschreibt sozioökonomische Prozesse als Summe der individuellen Handlungen einer Vielzahl einzelner Akteure. Ein Akteur ist hierbei eine Einheit, die in der Lage ist, auf Änderungen von Systemzuständen in individueller Weise zu reagieren, also „Entscheidungen“ zu treffen. Die Individualität der Handlung wird dabei dadurch erzeugt, dass der einzelne Akteur mit individuellen Eigenschaften und Präferenzen ausgestattet ist.

2. Aspekte der Multiakteur-Modellierung

Die Agenten-Modellierung ist ein Konzept aus der Informatik. Ein Agent – oder Akteur, wie er im Weiteren genannt wird – ist letztlich ein eigenständiger Programmteil. Die Handlungen eines Akteurs orientieren sich an der ihn umgebenden Umwelt. Interagieren mehrere Akteure miteinander, dann sprichtman von Multi-Agenten-, bzw.Multiakteur-
Modellen (Gilbert &Troitzsch, 2005).

Die Methode der Multiakteur-Modellierung hat sich aus der Forschung zur verteilten künstlichen Intelligenz entwickelt. Grundsätzlich bildet die Methode aus dem Individualverhalten entstehende gesellschaftliche Phänomene ab. Der Grad der Detailtiefe ist je nachAnwendungsbereich frei wählbar. Moss und Edmonds (2005) betonen die Wichtigkeit von Multiakteur-Modellen bei der Validierung von Theorien in den Sozialwissenschaften.

Akteure weisen nach Gilbert und Troitzsch (2005) folgende Merkmale auf: Sie arbeiten weitgehend selbständig (Autonomie), reagieren auf Änderungen der Umgebung (Reaktivität) und sind insofern sozial, als dass sie mit anderen Akteuren kommunizieren können (soziale Interaktion). Außerdem sind sie aufgrund eines Gedächtnisses lernfähig und können selbst aktiv werden und ein Ziel verfolgen (Proaktivität).

Die Multiakteur-Modellierung wird in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen eingesetzt, insbesondere aber zur Simulation sozialer Systeme. Im Gegensatz zu sozialen Simulationsmodellen, die auf Regressionsgleichungen basieren, werden bei der Multiakteur-Modellierung einzelne Entscheidungsträger betrachtet.

Je nach Anwendungsgebiet besitzen die handelnden Akteure Verhaltensregeln unterschiedlicher Komplexität. Durch die explizite Abbildung der Akteure können ihre Entscheidungen auf die implementierten Verhaltensregeln und die situativen Einflussfaktoren zurückgeführt werden.

Das Verhalten eines solchen Simulationsmodells ist wesentlich leichter nachvollziehbar als das eines Regressionsmodells, da die grundlegenden Prozesse abgebildet werden. Die beobachteten Phänomene ergeben sich aus den Einzelhandlungen des Systems.

In DANUBIA wird deshalb überall dort, wo explizit zwischen zwei oder mehr Handlungsalternativen entschieden werden muss, das Multiakteur- Konzept eingesetzt.

Modelle, die dieses Konzept einsetzen, werden als "tiefe" (Präfix "Deep") Akteurmodelle bezeichnet, im Gegensatz zu "flachen" Modellen, die auf einfacheren Algorithmen beruhen. Entsprechend wurden zur Kennzeichnung von Modellen und Ansätzen die Begriffe DeepActor-Modell, Deep-Actor-Ansatz und für das zugrundeliegende
Framework der Begriff DeepActor-Framework gewählt.

3. Das DeepActor-Framework

Das DeepActor-Framework (siehe Kapitel E2) liefert eine gemeinsame Grundlage zur Modellierung und Implementierung der sozioökonomischen DANUBIA-Modelle. Der Entwurf des objektorientierten Frameworks abstrahiert die konkreten Anforderungen der einzelnen Modelle und realisiert auf diese Weise eine gemeinsame konzeptionelle Grundlage.

Entscheidungsträger wie einzelne Individuen, Organisationen oder Betriebe werden als "Akteure" (actors) modelliert. Ein Akteur ist lokalisiert in seiner physikalischen und sozialen Umgebung (Proxel bzw. soziales Netzwerk) und entscheidet als Reaktion auf seine Beobachtungen über seine Handlung aus einer Menge von Handlungsoptionen. Die Umsetzung der Handlung hat wiederum Einfluss auf die Umgebung, welche dann Grundlage einer nachfolgenden Entscheidung sein kann.

Akteure haben verschiedene Präferenzen und Handlungsoptionen, repräsentiert durch individuelle Pläne und typspezifische Entscheidungsprozeduren. Zusätzlich verfügen Akteure über ein "Gedächtnis“ (history) zur Erinnerung vergangener Entscheidungen. Eine konkrete Umsetzung wird z.B. in Kapitel 2.10.2 am Modell DeepHousehold beschrieben.

Das Framework liefert eine abstrakte Implementierung dieser Konzepte, die in einem DeepActor-Modell jeweils optional zu konkretisieren sind. Beispielsweise ist die Entscheidungsprozedur zwar in ihrer Abfolge (Wahrnehmung der Umgebung, Planauswahl, Umsetzung gewählter Pläne) festgelegt, nicht aber der konkrete Algorithmus zur Planauswahl. Je nach Art und Komplexität lassen sich einfache reaktive Akteure genauso wie komplexe lernfähige Akteure in einem DeepActor-Modell realisieren.

Das DeepActor-Framework erweitert das von DANUBIA bereitgestellte Entwickler-Framework. Die zentralen Konzepte Simulationsraum, Datenaustausch und Simulationszeit werden unverändert für DeepActor-Modelle übernommen, so dass die Eingliederung von DeepActor-Modellen in den Modellverbund von DANUBIA transparent für die Laufzeit-Umgebung von DANUBIA und andere DANUBIA-Modelle erfolgen kann.


Tabelle E3.1: Flaggen (Indizes), die in DANUBIA zur Übermittlung von natürlichen oder technischen Zuständen an die Akteurmodelle verwendet werden.

4. Das Flaggenkonzept der DeepActor-Modelle

Eine herausragende Besonderheit von DANUBIA ist die Kopplung von physikalisch basierten naturwissenschaftlichen Modellen mit sozioökonomischen Komponenten. Dabei dienen die Output-Daten der naturwissenschaftlichen Modelle als Input-Daten für die Multiakteur-Modelle. Die gelieferten Informationen werden von den Akteuren als Entscheidungsgrundlage (Planauswahl) verwendet. Z.B. entscheidet ein Akteur im Modell DeepHousehold aufgrund der Temperatur über die Duschhäufigkeit.

Grundgedanke des Flaggenkonzepts ist, dass es sich bei den von den naturwissenschaftlichen Modellen berechneten Ausgaben oft um Größen handelt, die nur mit Hilfe von Expertenwissen und in einem bestimmten Kontext interpretiert werden können. Z.B. sagt der Grundwasserstand in einem Proxel zu einem bestimmten Zeitschritt
über das Grundwasserdargebot wenig aus, wenn nicht die hydrogeologische Situation und die Vorgeschichte bekannt und verstanden sind.

Um diese Diskrepanz zu beseitigen, wurde ein Verfahren entwickelt, bei dem ein oder mehrere naturwissenschaftliche Größen in einen Index überführt werden, der summarisch bestimmte Zustände (z.B. Grundwasserdargebot oder Hochwasserrisiko) wiedergibt.

Solche Indizes werden in DANUBIA als Flaggen (flags) bezeichnet und können Werte von 1 („sehr gut“) bis 4, bzw. 5 („katastrophal“) annehmen (siehe Tabelle E3.2). Eine Flagge stellt damit beispielsweise eine klassifizierte Mitteilung über den quantitativen und qualitativen Zustand von Grundwasser- und Oberflächenwasser-Ressourcen
oder ein bestehendes Risiko und dessenAusmaß dar.

Das zunächst scheinbar sehr wenig differenzierte abgestufte Flaggenschema wird im Kontext der Multiakteur-Modellierung zur individuell anpassbaren Entscheidungsgrundlage unterschiedlicher Modelle mit unterschiedlichen Akteur-Typen. Dabei können Flaggen sowohl individuell unterschiedlich interpretiert werden, als auch vordefinierte, unterschiedliche Bedeutungen haben. Sie können ein Verbot nach sich ziehen oder aber auch nur eine Warnung zum Ausdruck bringen.


Tabelle E3.2: Vereinfachtes Beispiel zur Interpretation der drinkingwaterQuantityFlag des Modells DeepHousehold.
Anmerkung: Die drinkingwaterQuantityFlag hat vier, die groundwaterQuantityFlag fünf Stufen.

Tabelle E3.1 listet die aktuellen vereinbarten Flaggen, einschließlich der Flaggenbezeichnung, und ihre Bedeutung sowie die Modelle, die die Flaggen berechnen und die Modelle, die die Flaggen verwenden, auf.

Autoren

S. Kuhn (1), R. Barthel (2), S. Janisch (3), A. Ernst (1), T. Krimly (4), M. Sax (5), M. Zimmer (6)

(1) Center for Environmental Systems Research (CESR), Universität Kassel
(2) Institut fürWasserbau, Universität Stuttgart
(3) Institut für Informatik, Ludwig-Maximilians-Universität München
(4) Institut für landwirtschaftliche Betriebslehre, Universität Hohenheim
(5) Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München
(6) Institut für Wirtschaftsforschung (ifo), München

Literatur

Gilbert, N. & Troitzsch, K. (2005):
Simulation for the social scientist (2. Auflage). Berkshire: Open University Press.

Moss, S. & Edmonds, B. (2005):
Towards good social science. Journal of Artificial Societies and Social Simulation, 8 (4) [available at: http://jasss.soc.surrey.ac.uk].

SinusSociovision (2007):
Milieulandschaft 2007. http://www.sinus-sociovision.de/

 

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